FULL OF EMPTINESS
30.4. – 3.5. 2009
Dirk Bell, Michael Beutler, Agnieszka Brzezanska, Tatjana Doll, Markus Draper, Eberhard Havekost, Andreas Hofer, Renata Kaminska, Robert Kusmirowski, Joep van Liefland, Alexej Meschtschanow, Frank Nitsche, Daniel Pflumm, Józef Robakowski, David Shrigley, Suse Weber
Markus Draper, Frank Nitsche, Joep van Liefland
Dirk Bell, Markus Draper, Andreas Hofer
Dirk Bell, , Józef Robakowski
Alexej Meschtschanow, Daniel Pflumm
Agnieszka Brzezanska, Alexej Meschtschanow
Alexej Meschtschanow, Tatjana Doll
Eberhard Havekost, Suse Weber
Renata Kaminska, Eberhard Havekost
Joep van Liefland, Michael Beutler, Robert Kusmirowski
Robert Kusmirowski, David Shrigley
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Spannung zwischen Voll und Soll: Full of Emptiness in der Rosa-Luxemburg-Strasse
(vonhundert 06-2009, S. 34-35)
// WAYRA SCHÜBEL, BERLIN
„Die Kultur schrumpft in den Zeitungen wie die Polkappen unter dem Treibhauseffekt. Trotzdem erwartet niemand, dass das Urteil über Kunst in die Hände von Boulevardredakteuren gehört. (…) Medien fantasieren gern über Katastrophen und Pandemien. Die größte Pandemie ist aber die der stetigen Komplexitätsreduktion.“ (Gerrit Gohlke, 2009).
Eine Aussage mit der ich vollkommen einverstanden bin. Daher ärgert es mich, dass ich über eine sehr gelungene Ausstellung nur eine einzige und zudem schnodderige Meldung zu lesen bekam. Der Autor mokiert sich darin über einen weiblichen „Curator of Emptiness“. Diese bat einem französischen Ausstellungsbesucher, der weit nach Ausstellungsende an einer Installation von Robert Kusmirowski von Plattenspieler- auf Radiofunktion umstellen wollte, diesen Eingriff doch zu unterlassen. Dabei beging sie den angeblichen Fehler „Die Kunst ist doch nicht logisch“ als Begründung zu nennen. „Dieser Hammerschlag schmiedete den Franzosen und mich zu einer eisernen aufklärerischen Front wider den Kunstmystizismus. Wir ließen der Armen keine Ruhe mehr. Bis die zornige Hausherrin den scharfsinnigen Franzosen der Ausstellung verwies. Ich ging mit, nackt und zufrieden.“
(taz, 02.05.2009)
Ich sehe keinen Fehler darin, Transzendenz der Transparenz, dem Spielraum bekleideter Sinnlichkeit der nackten Unmittelbarkeit den Vorzug zu geben. Ebenso den Blick lieber auf die Komplexität einer gelungenen Ausstellung zu lenken, als nach einem Sensatiönchen zu gieren. Was das Werk des ‚Fälschers von Lublin‘ (Robert Kusmirowski) angeht: Spätestens Anfang September wird seine Präsentation im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Stoff für eine fundierte Besprechung dieses bemerkenswerten Künstlers liefern. Hier geht es jedoch um die Ende April gezeigte Ausstellung „Full of Emptiness“. Mag sein, dass mich der Dualismus der Begriffe Fülle und Leere als Sinologin besonders fasziniert. Beide Begriffe werden in China nicht absolut, sondern als voneinander abhängig verstanden, gleichsam als Bipolarität einer Einheit. In diesem Sinne waren meine im Vorfeld gestellten Erwartungen bei weitem übertroffen worden, die Konzeption war bis ins letzte Detail stimmig ohne auch nur ansatzweise zu verkrampfen. Wenn man die großzügigen Räumlichkeiten der 240 m2 großen ehemaligen Zahnarztpraxis betrat, dann tönte aus einer Klappe über der Eingangtür der titelstiftende Klang von Donna Summer’s Song „Full of Emptiness“ (1992). Anstelle von Pressetexten oder Künstlerkatalogen konnte man sich einen Grundriss der Wohnung nehmen, der über die Positionierung der Werke Auskunft gab. Auch wenn die ausstellenden Künstler: Dirk Bell, Michael Beutler, Agnieszka Brzezanska, Tatjana Doll, Markus Draper, Eberhard Havekost, Andreas Hofer, Renata Kaminska, Robert Kusmirowski, Joep van Liefland, Alexej Meschtschanow, Frank Nitsche, Daniel Pflumm, Józef Robakowski, David Shrigley, Suse Weber an diesem Wochenende zum Teil in anderen Zusammenhängen des Berliner Gallery Weekends zu sehen waren: Hier haben sie alle unter dem Engagement der Kuratoren Renata Kaminska und Markus Draper ein luzides Statement gesetzt, zur allseits besprochenen sinnstiftenden Rolle, die Kunst in einer Zeit bröckelnder gesellschaftlicher Strukturen zu geben vermag. Bei jeder der 20 Arbeiten lag der Bezug zum Titel nahe, selten waren so heterogene künstlerische Ansätze so homogen umgesetzt worden. Ebenso unterlag scheinbar jede der sieben ‚Ausstellungskabinen‘ einem eigenen inneren Konzept, von denen hier nur zwei besprochen werden. In einer dieser sieben usstellungssituationen ist eine über dimensionierte Arbeit von Tatjana Doll zu sehen – das Piktogramm einer als „Sterngucker“ (2009) betitelten Figur, die den Umriss einer fernrohrschauenden Gestalt darstellt. Ohne auf den Werktitel zu schauen, hätte das Motiv statt eines Fernrohrs auch als auf dem Kopf stehende Flasche gedeutet werden können, statt eines Sternguckers hätte die Figur auch ein Trinker sein können. Der Arbeit gegenüber läuft eine Videoarbeit von Agniezka Brzezanska (‚Artemisia‘, 2002/2007), ein skandinavischer Softporno, aus denen sie die Sexszenen entfernt hat. An sich nicht spektakulär. Pikant daran ist vielmehr, dass sie eine biografische Szene der titelgebenden Figur – Artemisia Gentileschi – aus dem 17. Jahrhundert aufgreift und verändert nachstellt. Was bei Gentileschi, die als erste Kunstmalerin anerkannte Frau, die Verurteilung des Lehrmeisters Agostino Tassi, der sie sexuell missbraucht haben soll, ist, wird bei Brzezanskas Zusammenschnitt ein knapp 14minütiges Schaustück über eine naive Schönheit, die sich von ihrem Lehrmeister in die Notwendigkeit von Leidenschaft unterweisen lässt. Brzezanska hat dabei den Mono-Originalsound gelassen, die polnische Simultanübersetzung ist um Sekunden zeitversetzt und über die englischen Originaldialoge gelegt. Die Schlüsselszene bildet die Zeichenstunde eines Flaschenstilllebens, dessen braves Ergebnis Artemisias Lehrer so erbost, dass er vor ihren Augen den Zeichengegenstand auf den Boden schmettert, um die junge Schönheit in die Heftigkeit explodierender Gefühle zu unterweisen. In den Uffizien hängt ein Bildnis „Judith enthauptet Holofernes“, das keinen Zweifel daran lässt, dass sich die damals noch nicht mal 20jährige Gentileschi die extremen Abgründe menschlicher Gefühle bereits auf sehr intensive Weise vorstellen konnte. Nahe dem Fenster ist die Skulptur von Alexey Meschtschanow platziert – „Flasche“(2006), ein 1,40 m hoher gegossener, glänzender, grafitdunkler Stahl. Auf mich hat es die Wirkung, als hätte sich der Bestandteil eines komplexen Röhrensystems verselbständigt und sei zum Individuum transformiert. Seine schlanke Form mit den hängenden Schultern und dem gekrümmten Flaschenhals, der wie ein Insektenrüssel anmutet, hinterlassen jedoch eine Ahnung, als sei er dieser Rolle der eigenständigen Gestalt nicht gewachsen, trotz der Schwere und des Glanzes seiner Beschaffenheit. Die Höhe des Körpers lädt geradezu ein, sich zum Flaschenhals hinabzubeugen, um durch die tiefschwarze Innenlackierung der schmalen Halskrümmung festzustellen, dass er im Inneren noch geheimnisvoller als an seiner Oberfläche ist. Der direkte Dialog mit der Arbeit Tatjana Dolls ist hergestellt, beide Arbeiten benutzen ein Gefäß als begrenzende Umrisshülle, durch die Erkenntnis kanalisierbar scheint. In beiden Arbeiten wird durch das rohrförmige Behältnis ein Durchblick Nahe gelegt, ob dieser mehr dem Firmament oder dem Abgrund zugeneigt ist, bleibt offen. Während die barocke Üppigkeit des Filmes von Brzezanska diesen Dialog wörtlich zerschmettert, ist die Koexistenz der drei Positionen friedlich und voller Spannung. Zwei Zimmer weiter: Das einzige Fenster ist mit unterschiedlichen Fragmenten schwarzer Folie beklebt („Stress Fenster“, 2009), was bei Tageslicht ein abstrahiertes Schwarzweißszenario splitternder Dynamik, dessen Strahlkraft abhängig von den äußeren Lichtverhältnissen ist. Das ungestüm zerstörerische Element wird intensiviert durch die am Boden der Fensterarbeit laufende Videoarbeit, ebenfalls von Markus Draper („Bodenlos“, 2008), die jedoch unabhängig voneinander konzipiert sind. Die Videoarbeit zeigt ein blasses Ensemble krachender Bretter und Balken, die um eine dunkle Öffnung herum ausgelegt sind, mal beschleunigt, mal verlangsamt abgespielt. Dennoch überwiegt die gedämpft sakrale Atmosphäre, die von der Fensterarbeit ausgeht. Durch das kontrollierte, durch Sichtbarrieren verursachte Ausklammern der Außenwelt ausgelöst. Es verleitet mich zu einer kircheneigenen Bereitschaft zur Einkehr. Andreas Hofer hat sein Werk direkt auf die Wand geschaffen: „Small riddler room for art assholes“ (2009). Zu sehen ist eine mit Bleistift gezogene rahmende Wellenlinie um eine Legion von acht unterschiedlich großen, fliegenden schwarzen Fragezeichen herum, die vertikal umklammert werden von mit Bleistift schraffierten Wörtern, darunter der Werktitel. Demgegenüber eine einfache DIN A3 Seite, leicht vergilbt mit dünnen Farbstiften ein Gitter aus den Buchstaben für „FREE“ arrangiert – eine Arbeit von Dirk Bell („Cage“, 2007). Ich bin die Karikatur eines „art assholes“, überfällt es mich jäh. Es gibt hier in der Tat nichts, was mein reiner Verstand aufdröseln möchte, nur eine rätselhafte Empfindung von Unvollkommenheit, die sich wie eine erhabene Befreiung aus der logischen Abfolge von Deutungsoptionen anfühlt. Diese anregende, stringente, empathische und eindringliche Zusammenarbeit der Künstler miteinander und mit dem Raum ragt vor allem durch eine unaufgeregte Konzentration auf ihre künstlerischen Aussagen fokussiertenten Arbeiten heraus. Ich wünschte mir schon allein deswegen, sie hätte eine weitläufigere Besprechung erfahren.
BIER STATT CHAMPAGNER
(art-magzin.de, 04/05/2009)
Wer war schuld? Die Sonne? Oder die Krise? Das Gallery Weekend in Berlin hatte diesmal deutlich weniger Besucher als noch vor einem Jahr, als man sich in manche Galerien regelrecht hineindrängeln musste. Trotzdem war die Veranstaltung ein Erfolg.
// UTE THON, KITO NEDO, RALF SCHLÜTER, BERLIN
Diesmal konnte man locker durch die Räume schlendern, der große Kunst-Hype der letzten Jahre scheint einer neuen Nüchternheit gewichen zu sein. Unangenehm war das allerdings ganz und gar nicht: Überall sah man entspannte Gesichter, auch bei den Galeristen. Statt Champagner fließt jetzt eher Bier, in einer Galerie in der Lindenstraße wurde sogar Whiskey ausgeschenkt: Getränke, die ganz gut zur neuen Lage passen. Das in letzter Zeit viel beschworene Interesse an der ernsthaften Auseinandersetzung mit Kunst – vielleicht existiert es wirklich. Dass sich das Besucherinteresse abgekühlt hatte, ist aber sicher auch dem strahlenden Frühlingswetter zuzuschreiben: Mancher fuhr lieber ins Grüne, als rastlos durch meist geschlossene Räume zu tigern. Dabei gab auch außerhalb der Galerien viel Kunst zu erleben. Eine kleines, unvollständiges Protokoll eines sonnigen Berliner Kunst-Wochenendes.
Donnerstag Abend, Rosa-Luxemburg-Platz
Auch in diesem Jahr nutzten junge Künstler, die (noch) nicht von den großen Galerien gezeigt werden, das Gallery Weekend für eigene kreative Interventionen. Eine der spannendsten konnte man in einer Etagenwohnung in der Rosa Luxemburg-Straße besichtigen. Markus Draper hatte Künstlerfreunde zur Gruppenausstellung gebeten. Den Titel „Full of Emptiness“ entlehnte er einem Donna-Summer-Song. In der Leere einer teilsanierten Bel Etage trafen ungewöhnliche Künstlerpositionen aufeinander: Suse Webers blaues „Individuum“ aus PVC-Hohlkammerplatten bewacht eine braune Oberflächenstudie von Eberhard Havekost; Frank Nitsches Turm aus Bierdosen und Aufklebern entzieht sich der Sogwirkung eines Draper-Videos, in dem Latten und Ateliermüll von einem schwarzen Loch geschluckt und dann wieder ausgespuckt werden. Wie reizvoll das Bespielen leer stehender Wohnungen sein kann, zeigte die Teilnehmerliste mit bekannten Namen wie Andreas Hofer, Tatjana Doll, David Shrigley und Robert Kusmirowki.
Donnerstag Abend, Martin-Gropius-Bau
Auf der Eröffnung der nationalen Jubelschau „60 Jahre“ zum Verfassungsjubiläum im Gropiusbau lobt Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild“ die ebenfalls anwesende Kanzlerin Angela Merkel für ihren Einsatz um die Leihgabe des Beuys-Filzpianos in höchsten Tönen. Merkel habe beim Nato-Gipfel Anfang April bei Nicolas Sarkozy erfolgreich für die Ausleihe des eigentlich als unentleihbar geltenden Exponats aus dem Pariser Centre Pompidou geworben. In der nachfolgenden Rede…
(…)
Meike Jansen schaut sich in den Galerien von Berlin um
(taz, 06/05/2009, S. 26)
// MEIKE JANSEN, BERLIN
Es ist schon interessant, wenn das immer ausuferndere Gallery Weekend auf die mittlerweile wieder Castorfsche Inszenierungen sprengende Dimension des politischen 1. Mais trifft. Bereits am Vorabend war zu beobachten wie Wolfgang Karl May ein an einen Maibaum erinnerndes mobiles Baumhaus inklusive Stamm vor einer Bar in Mitte errichtete. Etwas früher hatten sich bereits Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten) und Vania Rovisco auf Einladung der Krome Gallery interpretationsschwer auf der Karl-Marx-Allee eingemauert. Selbstverständlich nicht ohne Polizei, die durch die herrlich weißen Steine angezogen wurde. Ein recht ehrliches Gefühl vermittelte „Full of Emptiness“, wofür eine Reihe von KünstlerInnen Leere fokussierten: Markus Drapers Video „Bodenlos“, das nicht nur mit dem Verlust der Bodenhaftung kokettierte, sondern auch unzählige Bretter (von den Köpfen der Menschen) in ein schwarzen Loch aufsog. Immer wieder ein Thema: die Medien, wie bei Joep van Liefland oder Renata Kaminska (siehe Serie), die mit ihrer Videoinstallation „Asphalt Cowboy“ zwei Rücken an Rücken stehende Monitore mit zerstörten, pixeligen Fernsehbildern zeigte. Eben den neuesten Schrei aus der Clip-Szene. Ebenfalls herausragend Tatjana Dolls „Sternengucker“, das Gemälde eines etwa drei Meter hohen Gebotsschilds mit einem Trinker. Einen der pointiertesten Kommentare liefert in diesen Tagen aber Gregor Hildebrandt bei Jan Wentrup: Liebe zum Hedonismus, Geschichtsbewusstsein, das Recht auf Rausch, politische wie gesellschaftliche Perspektiven auf das Leben…
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